Freundschaft und Geld – machen oder lassen?
„Bei Geld hört die Freundschaft auf“, sagt eine Volksweisheit. Stimmt das? Gibt es Parameter, an denen sich orientiert werden kann, wenn einen ein Freund/eine Freundin um Geld bittet oder man selbst finanzielle Hilfe benötigt? Dr. med. Michael Szukaj, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie verrät, was Menschen dazu bringen kann, sich gegenüber Freunden „geizig“ oder „großzügig“ zu zeigen und warum er nicht glaubt, dass bei Geld die Freundschaft aufhört. Außerdem gibt er Tipps, wie man selbst Lösungen finden kann, wenn man vor der Frage steht, einem Freund Geld zu geben oder nicht.
Dr. Szukaj, an welche Ebene denken Sie als Experte zuerst, wenn es um das Thema Freundschaft und Geld geht – einfache Freundschaften, Partnerschaften, berufliches Umfeld, Bekanntschaften… ?
Primär denke ich da erst einmal an private Darlehen, Schenkungen oder Hilfe finanzieller Art unter einfachen Freunden.
Welche Faktoren – Erziehung, Familie, Beruf, Erfolg/Misserfolg etc. – prägen aus Ihrer Sicht die persönliche Einstellung zu Freundschaft und Geld?
Die meisten Menschen werden in diesem Zusammenhang von ihrem eigenen Sozialraum geprägt – den Erfahrungen im Aufbau und Pflegen von persönlichen Beziehungen.
Sprich: Was habe ich über Vertrauen gelernt, über Not, Hilfsbedürftigkeit, darüber Hilfe zu geben aber auch Hilfe annehmen zu können. Das schließt natürlich wirtschaftliche Hilfe ein. Dazu kommen Erfahrungen darüber, in welcher Relation diese Dinge zum Wertschätzen oder Abwerten einer Person stehen. Geld ist eine Energieform. Sie beeinflusst, in welcher Stärke auch immer, Beziehungen zu anderen Menschen. Insofern halte ich den Satz „Bei Geld hört die Freundschaft auf“ wörtlich gesehen für falsch. Im Gegenteil, sie kann unter Umständen Freundschaften auch stärken, wenn das gegenseitige Vertrauen da ist.
Wenn zu Freundschaft und Geld noch eine zusätzliche Komponente hinzukommt wie etwa ein Arbeitsverhältnis oder die Teilhabe an einem gemeinsamen Objekt oder Unternehmen, kann das tendenziell eher verkomplizieren oder doch eher lösungsorientierter wirken?
Das ist auf jeden Fall erst einmal verkomplizierend zu sehen. Wenn jemand einem Freund Geld gibt, dann stellt das erst einmal ein zumindest vorübergehendes, energetisches Gefälle auf der Beziehungsebene dar. Einer gibt, einer nimmt – der eine braucht, der andere kann den Bedarf stillen. Es braucht eine stabile Freundschaft, damit aus diesem temporären Ungleichgewicht keine dauerhafte Abhängigkeit wird.
Wenn jetzt andere Faktoren hinzukommen, Arbeitsverhältnis, Teilhabe, Dienstleistung, das berühmte „Mach es für mich doch mal günstiger!“, dann wird das Zusammenspiel aus Beziehung (Freundschaft) und Energie (Geld) schnell so verkompliziert, dass Freundschaften darunter leiden können.
Sich unter Freunden Geld zu leihen oder auch zu schenken, ist für sich genommen etwas, das eine gute Freundschaft jedoch allemal verträgt.
Könnte man umgekehrt sagen, die Bereitschaft, Geld zu verleihen oder zu schenken, ist ein Indikator für eine stabile Freundschaft?
Ich möchte es so formulieren: Eine Freundschaft, die den Indikator Geld braucht, um sich zu definieren oder zu bestätigen, hat einen erheblichen Mangel. Mitunter spielt es etwa bei einer sehr großen Menge Geld auch eine Rolle, wofür ein Freund das Geld überhaupt benutzen möchte.
Menschen mit relativ viel Geld sind im Übrigen öfter vorsichtig, wenn es darum geht, warum jemand die Freundschaft sucht. Das ist auch nur zu verständlich. Beispiel: Jemand gewinnt im Lotto und hat plötzlich ganz viele Freunde. Dass man da unsicher ist, ob die alle aus echtem Interesse an seiner Person oder doch eher am Gewinn aufgetaucht sind, ist sehr gut nachvollziehbar.
Menschen, die sich ihr Geld selbst hart erarbeitet haben, sagt man ja nach, im Vergleich zu anderen, die in den Reichtum hineingeboren wurden, besonders geizig zu sein. Sie würden eher ungern etwas verleihen oder verschenken. Ist da etwas dran?
Na ja, sehen Sie sich zum Beispiel mal Donald Trump an. Der hat ja nun relativ wenig selbst erworben. Er ist durch seinen Vater so reich geworden. Ein aus meiner psychologischen Sicht egozentrischer Mann mit einer schwierigen Persönlichkeit, der sich emotional schlecht regulieren kann. Der handelt nun wirklich nicht nach diesem Klischee.
Nein, das Ganze ist ein bisschen vergleichbar mit dem Bewältigen von traumatischen Ereignissen. Es gibt Menschen, die die fürchterlichsten Dinge erleben und gestärkt daraus hervorgehen und solche, die das nicht schaffen. Ähnlich gibt es Menschen, bei denen viel Geld das soziale Gewissen zum Teilen und Helfen anregt und Menschen, bei denen das ausbleibt.
Allerdings halte ich es generell für eine wichtige Voraussetzung, gelernt zu haben, sich das eigene Geld selbst erarbeiten zu müssen. In Bezug auf das soziale Gewissen scheint mir das eine tendenziell bessere Voraussetzung. Wenn man sich aktuell Fälle von bestimmten Managern von DAX-Konzernen anschaut, kann man sich schon fragen, ob die überhaupt noch wissen, was es bedeutet, zwei Kinder mit einem Facharbeitergehalt durchzubringen. Da ist ein gewisses Abgehoben sein zu beobachten. Das Gefühl für wirtschaftliche Verhältnisse im Alltag scheint völlig zu fehlen.
Wie sehr spielt das Spannungsverhältnis von Freundschaft und Geld bei Ihren Patienten eine Rolle – ist es ein in der Masse erheblicher Faktor für psychische Probleme, die wie auch immer behandelt werden sollten?
Ja klar. Eine recht typische Dynamik findet sich beispielsweise unter Geschwistern. Mit aller Vorsicht gesagt, denn Geschwister sind ja nicht automatisch auch Freunde. Aber Defizite in der Sozialisation, in der Erziehung zu einem sozialen Wesen oder auch in der eigenen Kindheit, werden bei Erbschaftsangelegenheiten häufig wieder an die Oberfläche gespült. Bei Erbschaftsstreitigkeiten wird unter Geschwistern oft versucht, sich etwas von der ursprünglich zu knapp vorhandenen Energie – wie gesagt: Geld ist eine Energieform – zurückzuholen. Dann versucht man, etwas mehr als der andere zu bekommen, den Verlust von Energie, die nie ausreichend da war, mit Vorteilen gegenüber den Geschwistern zu kompensieren.
Solche Verhältnisse spielen auch in meiner Arbeit und bei der Bewältigung von nachhaltigen emotionalen Problemen eine bedeutende Rolle.
Ist Freundschaft und Geld aus Ihrer Erfahrung in den letzten Jahren und in unserem Kulturkreis mehr zu einem Problemfeld für ernsthafte, zu behandelnde psychische Probleme geworden?
Ja, auf jeden Fall. Geld hat in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewonnen: Geld und sich Geld zu beschaffen. Das bringt Menschen immer mehr dazu, ihr Leben nicht nach gewissen Idealen oder emotionalen Bedürfnissen auszurichten, sondern danach, ob es sich rechnet.
Die Bedeutung der Frage, ob sich etwas rechnet hat zugenommen. Nicht nur, weil Geiz „geil“ sein soll. Das ganze Thema um Rabatte, Ermäßigungen, hier noch etwas sparen können, dort noch einen finanziellen Vorteil abgreifen zu können, führt uns Menschen tendenziell in eine Art Leben, in dem Geld eine immer zentralere Rolle spielt – noch zentraler als vielleicht nötig oder gut für die emotionale Entwicklung.
Was raten Sie Menschen, die im Umgang mit dem Thema Freundschaft und Geld unsicher sind?
Um mit dem Thema Freundschaft und Geld gut umgehen zu können muss man lernen, Vertrauen aufzubauen und auch Rahmenbedingungen für sich festzulegen.
Beispiel: Ich wollte letztens etwas in bar bezahlen aber deswegen nicht extra erst zum Geldautomaten laufen. Ein Freund war zufällig dabei und lieh mir das Geld. Ich hatte mir das dann entsprechend notiert und dennoch vergessen, es ihm zurückzugeben. Neulich dachte ich wieder dran. Ich rief ihn an und er sagte: „Kein Problem. Ich wusste, es fällt dir wieder ein.“ Dabei sprechen wir hier natürlich von überschaubaren Beträgen.
Allerdings, wenn mich ein Freund um Geld in einer nicht alltäglichen Größenordnung bittet, würde ich überlegen: Was verändert das für ihn? Ist das gut für ihn? Was verändert das für mich? Was könnte sich an der Freundschaft verändern?
Ich würde mich nicht scheuen, die Leihgabe auch zu dokumentieren – nicht zuletzt, um es am Ende nicht selbst zu vergessen. Ich würde mir gegebenenfalls den Betrag quittieren lassen. Das hat nichts mit Misstrauen zu tun. Es kann ja immer mal etwas passieren. Und unter Freunden weiß man so etwas auch richtig einzuschätzen.
Eine zeitliche Komponente ist ebenfalls sinnvoll. Es muss kein Stichtag sein aber ein Rahmen bringt auch mehr Verbindlichkeit ein.
Sollte sich die Bitte des Freundes oder der Freundin um Geld wiederholen, sollte man kritisch hinterfragen, ob es Sinn macht, dieser nachzukommen oder es vielleicht hilfreicher sein könnte, in einem Gespräch die Ursache des stetigen Geldmangels herauszufinden und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
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