Die Ballade vom kürzeren Hebel
Welcher Schüler hat noch nie wegen einer ihm ungerecht erscheinenden Note vor Wut die Fäuste geballt, empört eine Beschwerde formuliert – um sie dann aus Sorge vor weiterem Ärger doch nicht abzugeben? Aber was steckt eigentlich dahinter? Vielleicht ist ja doch alles gar nicht so ungerecht, wie es auf den ersten Blick scheint.
Leistungsbewertungen sind wichtig, denn sie dienen einerseits der Orientierung der Schüler und der Eltern, wo der Schüler leistungsmäßig steht. Andererseits stellen sie die Grundlage für die Zuerkennung von Berechtigungen (wie z. B. Versetzungs-, Abschluss- oder Prüfungszeugnis) dar.
Wie kommen Zensuren zustande?
Die Grundlagen der Benotung bilden alle vom Schüler erbrachten mündlichen, schriftlichen (z. B. Schulaufgaben, Kurzarbeiten, Extemporalien) und praktischen (z. B. Bilder in Kunsterziehung, Übungen im Sportunterricht) Leistungsnachweise.
Die Leistungsbewertung in Form von Noten wird in allen Bundesländern einheitlich nach den Notenstufen 1 bis 6 vorgenommen. Bei einer Leistungsbewertung nach Punkten werden auf der Grundlage eines 15-Punkte-Systems die Punkte den Notenstufen entsprechend zugeordnet.
Welcher Maßstab für die Bewertung herangezogen wird, ist abhängig von den verbindlichen Anforderungen für die jeweilige Schulart und Jahrgangsstufe. Da nur anhand dieser Kriterien es aber für die Lehrer fast unmöglich ist, dich und deine Leistungen im Einzelfall angemessen zu bewerten, ist es auch zulässig, wenn die Lehrer daneben deine Leistungen mit dem Leistungsstand der Klasse insgesamt vergleichen.
Mehr zu deinem Informationsanspruch und dem deiner Eltern bezüglich deines Leistungsstands findest du hier.
Die Bewertung einzelner Unterrichtsleistungen
Die Bewertung einzelner Leistungen während des Schuljahrs erfüllt in erster Linie den Zweck, dir, deinen Eltern sowie den Lehrern einen Überblick über deinen Leistungsstand, deine Stärken und Schwächen zu verschaffen.
Für die Ermittlung deines Leistungsstands und eventuell notwendiger Fördermaßnahmen ist in erster Linie die Anfertigung von Klassenarbeiten von Bedeutung. Sie werden für gewöhnlich geschrieben, wenn eine Unterrichtseinheit abgeschlossen ist. Damit du dich ausreichend vorbereiten kannst, sollen sie rechtzeitig angekündigt werden. Natürlich werden sie unter Aufsicht geschrieben, damit die Klassenarbeit dem Lehrer auch ein wirklich zutreffendes Bild deiner Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt. Sie sind gleichmäßig über das Schul(halb)jahr zu verteilen. An einem Tag sollte nicht mehr als eine Klassenarbeit geschrieben werden.
Wenn du dich weigerst, eine Arbeit zu schreiben, oder wenn du sie unentschuldigt versäumst, wird die Arbeit mit der Note "ungenügend" bewertet. Im Fall einer absichtlichen Leistungsverweigerung müssen die Lehrer außerdem deine Eltern in Kenntnis setzen.
Wenn du etwa wegen Krankheit und entsprechender Entschuldigung eine Klassenarbeit nicht mitschreiben kannst, kann dein Lehrer verlangen, dass du die Klassenarbeit nachschreibst, wenn ansonsten keine sachgerechte Leistungsbeurteilung im nächsten Zeugnis möglich ist.
Zeugnis
Zeugnisse gibt's am Ende eines jeden Schulhalbjahrs. Darin werden zusammenfassend deine Leistungen in den verschiedenen Fächern bewertet. Ein Zeugnis enthält außerdem – jedenfalls in den Schulen der Primarstufe und der Sekundarstufe I – wichtige Aussagen über dein sonstiges schulisches Verhalten, das sogenannte Sozialverhalten oder die Kopfnoten. Häufig werden Noten durch eine allgemeine umschreibende Beurteilung während der ersten beiden Grundschulklassen ersetzt.
Wenn du die Abschlussklasse erfolgreich hinter dich gebracht oder eine Abschlussprüfung bestanden hast, bekommst du ein Abschlusszeugnis. Schüler, die nach Ende der Schulpflicht von der Schule abgehen, ohne das Ziel erreicht zu haben, erhalten ein Abgangszeugnis.
Die Gewichtung der Leistungen bei der Bildung der Zeugnisnote ist abhängig vom Bundesland, der Art der Schule, vom Fach, von der Zahl der Leistungsnachweise und vom Alter des Schülers. Klassenarbeiten fallen gegenüber den mündlichen Leistungen i. d. R. stärker ins Gewicht.
Wie die Lehrer die mündlichen Leistungen bewerten, bleibt ihnen im Rahmen ihres pädagogischen Ermessens überlassen. Insbesondere ist es nicht als ungerecht anzusehen, dass der Lehrer dich häufiger im Unterricht befragt als deine Mitschüler, wenn er sich über dein Notenbild noch nicht ganz sicher ist.
Die Zeugnisnote wird je nach Bundesland entweder vom Fachlehrer oder auf Vorschlag des Fachlehrers von der Klassenkonferenz festgesetzt. Mitarbeit und Verhalten werden aufgrund der Vorschläge der einzelnen Lehrer von der Klassenkonferenz bewertet.
Der Beurteilungsspielraum
Bestehen zwischen dir und deinem Lehrer unterschiedliche Auffassungen über die Qualität deiner Leistung, sitzt du leider oft am kürzeren Hebel. Der Grund: Die Bewertung einer schulischen Leistung liegt im Ermessen des Pädagogen. Das heißt, jeder Lehrer hat einen weiten Beurteilungsspielraum, was die Benotung angeht.
Das heißt aber nicht, dass ein Lehrer einfach nach seinem Geschmack oder aus Sympathiegesichtspunkten gute oder schlechte Noten verteilen kann.
Die Leistungsbewertung
- muss sachlich erfolgen (z. B. keine übertrieben abwertenden oder wütenden Randbemerkungen bei schriftlichen Arbeiten),
- darf das Grundrecht auf Gleichbehandlung nicht verletzen (z. B. müssen alle Schüler für eine Klassenarbeit die gleiche Bearbeitungszeit zur Verfügung haben; die Chancengleichheit muss gewahrt bleiben),
- muss sachgerecht und nachvollziehbar sein (z. B. keine schlechtere Note in Mathe, weil die Arbeit Rechtschreibfehler enthält),
- darf nicht willkürlich sein (z. B. keine schlechtere Note, weil die Schülerin gepierct ist) und
- muss sich innerhalb eines verantwortungsvoll genutzten Beurteilungsspielraums abspielen (z. B. bei Kunstarbeiten und im Musikunterricht).
Gerichtliche Nachprüfung
Leistungsbewertungen sind gerichtlich schwer nachprüfbar. Richter beschränken sich daher nur auf die Einhaltung allgemeiner Grundsätze, da sie den behandelten Unterrichtsstoff und die konkrete Prüfungssituation nicht kennen.
Einhaltung von Prüfungsregeln und Verfahrensvorschriften
Geprüft wird daher, ob allgemeine Prüfungsregeln eingehalten wurden. So achten die Richter darauf, ob
- der Lehrer die Klausur vollständig geprüft hat oder ob beispielsweise eine Seite übersehen wurde,
- die Prüfung die vorgeschriebene Zeit angedauert hat,
- der Lehrer die erreichten Punkte richtig addiert hat oder
- ob der Korrektor davon ausgegangen ist, dass das richtige Hilfsmaterial zur Prüfung zugelassen war, z. B. der Taschenrechner.
Das Gericht prüft, ob Verfahrensvorschriften eingehalten wurden. So darf
- eine Lehrkraft entgegen der bestehenden Verfahrensvorschriften (Abschlussprüfung) z. B. nicht nur 4 statt 7 Schulaufgaben im Schuljahr schreiben oder
- kein Schüler geprüft werden, wenn er erkennbar krank ist oder
- die Prüfung nicht unter unzumutbaren Prüfungsbedingungen geschrieben werden (z. B. defekte Heizung im Winter oder unerträglicher Baustellenlärm).
Der Grundsatz der Gleichbehandlung
Im Übrigen prüft das Gericht nach, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen den Schülern eingehalten und die Chancengleichheit unter den Schülern gewahrt wurde.
So darf beispielsweise kein Lehrer
- einigen Schülern als Hilfsmittel in der Mathearbeit einen Taschenrechner überlassen, anderen aber nicht
- einem Teil der Schulklasse den in der Prüfung vorkommenden Lehrstoff mitteilen, dem anderen Klassenteil dagegen nicht.
Notenschutz und Nachteilsausgleich
Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung folgt aber auch, dass auf individuelle Einschränkungen Rücksicht genommen wird. Schülern mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) kann auf Antrag Notenschutz gewährt werden. In Prüfungen wird dann die Rechtschreibleistung nicht bewertet (oder in der Oberstufe nur zurückhaltend). Der Notenschutz soll Schüler vor den Auswirkungen der Lese-Rechtschreib-Schwäche auf die Schullaufbahn, die Motivation und die Psyche schützen. Sie können sich so auf den eigentlichen Lern- und Prüfungsstoff konzentrieren und müssen sich nicht ständig Sorgen machen, dass die vielen Rechtschreibfehler die Schulnoten ruinieren.
Betroffene Schüler durchlaufen zunächst ein Anerkennungsverfahren, in dem das Vorliegen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche offiziell festgestellt wird. Wurde Notenschutz aufgrund einer anerkannten Lese-Rechtschreib-Schwäche gewährt, wird für gewöhnlich eine entsprechende Bemerkung im Zeugnis eingetragen.
Der Nachteilsausgleich kann nach den Legasthenie-Erlassen der einzelnen Bundesländer unter bestimmten Voraussetzungen ausgesetzt werden, wenn die Rechtschreibleistungen über einen längeren Zeitraum stabil "ausreichend" oder besser sind (siehe z. B. Nr. 2.2.4.3 Legasthenie-Erlass Schleswig-Holstein).
Die Legasthenie-Erlassen der übrigen Bundesländer findest Du im Internet.
Keiner wird zurückgelassen
Kannst du generell die Leistungsanforderungen erbringen und weist nur in Teilbereichen Einschränkungen auf, soll ein Nachteilsausgleich gewährt werden. Dabei werden die Leistungsanforderungen nicht gesenkt. Es werden nur (Prüfungs-)Bedingungen geschaffen, unter denen Schüler mit teilweisen Einschränkungen ihre Fähigkeiten und ihr Wissen trotz der Defizite zeigen können.
Bei körperlichen Beeinträchtigungen können im Sportunterricht z. B. die Übungen angepasst werden. Bei Aufmerksamkeitsproblemen kann ein reizarmes, strukturiertes Arbeitsumfeld geschaffen werden. Bei Verständnis- und Hörproblemen können Aufgabenstellungen abgeändert werden.
Im Fall einer Lese-Rechtschreib-Schwäche kann den betroffenen Schülern mehr Zeit gegeben werden, da sie für das Durchlesen der Aufgaben und das Aufschreiben der Antworten länger brauchen als durchschnittliche Schüler. Auch das Vorlesen der Aufgaben ist möglich.
Es hängt von der Art und dem Umfang der Beeinträchtigung ab, welche Maßnahmen zum Zweck des Nachteilsausgleichs ergriffen werden.
Einhaltung anerkannter Bewertungsmaßstäbe
Die Richter prüfen auch, ob allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe eingehalten wurden. So sind extreme, sachlich nicht zu erklärende Ungleichgewichte zwischen verschiedenen Bewertungen oder Widersprüche zwischen den Begründungen einer Note und der Note selbst verboten. Auch darf sich der Lehrer bei seiner Beurteilung nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen. So sind mit der Benotung bezweckte Sympathiebekundungen oder Disziplinierungen verboten. Das bedeutet: Ein Lehrer darf die Leistung eines Schülers nicht schlechter bewerten, weil er ihn nicht leiden kann.
Fachliche Meinungsverschiedenheiten
Bestehen zwischen dir und deinem Lehrer unterschiedliche Ansichten über die inhaltliche Qualität deiner Leistung, ist die Beurteilung für die Richter schwierig. Früher hatten sich Richter deshalb aus einer fachlichen und inhaltlichen Überprüfung der einzelnen Arbeiten fast völlig herauszuhalten.
Heute nicht mehr. So darf das Gericht Leistungsbewertungen in fachlich-wissenschaftlicher Hinsicht überprüfen. Das heißt aber nicht, dass Gerichte in den Beurteilungsspielraum von Lehrern eingreifen dürfen. Prüfungsspezifische Wertungen wie Schwierigkeitsgrad, Genauigkeit, Klarheit und Umfang der Begründung einer Lösung, die vielfach mit fachlichen Prüfungsurteilen untrennbar verknüpft sind, sind der richterlichen Überprüfung nicht zugänglich.
Keine Aussicht auf Erfolg ...
... hast du, wenn deine Eltern dein gemaltes Bild als herausragendes Kunstwerk loben und dich als neuen Picasso feiern, während dein Lehrer deine Leistung durchschnittlich findet und dir deshalb eine schlechte Note gibt. Die Richter überlassen in diesem Fall die Einschätzung dem zuständigen Lehrer.
Rechtsmittel gegen Zensuren
Fühlst Du dich ungerecht beurteilt, lohnen sich rechtliche Schritte nur, wenn die Note für die weitere Schullaufbahn (Versetzung) oder für den beruflichen Werdegang (Abschlusszeugnis) von Bedeutung ist.
Sollten die beschriebenen Konsequenzen drohen, kannst du mit förmlichen Rechtsmitteln dagegen vorgehen. Denn nur gegen schulische Leistungsbeurteilungen, die Verwaltungsakte sind, können deine Erziehungsberechtigten oder du selbst (bei Volljährigkeit) förmliche Rechtsbehelfe bei der Schule oder der Schulaufsichtsbehörde einlegen und anschließend vor dem Verwaltungsgericht klagen.
Der Verwaltungsakt
Grundsätzlich sind folgende Entscheidungen der Schule Verwaltungsakte und somit per Widerspruch und Klage vor dem Verwaltungsgericht anfechtbar:
- Die Nichtversetzung in die nächsthöhere Klasse
- Die Nichtzulassung zum Abitur
- Das Abschlusszeugnis an sich
Nicht anfechtbar sind dagegen beispielsweise:
- Einzelne Noten in einer Klassenarbeit
- Noten in Zwischen- und Endzeugnissen, die keine unmittelbaren Rechtsfolgen nach sich ziehen, also z. B. nicht versetzungsentscheidend sind.
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